
„Was bleibet aber… – Literatur im Land“- Ausstellung und Lesung
Eine Ausstellung der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten in Kooperation mit der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg und dem Gymnasium Eppendorf.
Was bleibet aber, stiften die Dichter.“ Friedrich Hölderlin schrieb diese Zeile vor über zweihundert Jahren. Mittlerweile ist sie ein geflügeltes Wort und im kulturellen Gedächtnis verankert. Nicht jeder kennt dieses Zitat, weiß, von wem es stammt oder wer Hölderlin war. Doch seine Dichtung bleibt. Die Ausstellung „Was bleibet aber … – Literatur im Land“ der Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten zeigt Szenarien, die vor unserer Haustür stattfinden und literarische Schauplätze, die unserer Wirklichkeit so sehr ähneln, dass sie auch heute beschrieben werden könnten: Denn ob Krieg oder Bündnis, Widerstand oder Flucht, Zensur oder Freiheit – es gibt Ereignisse, die einzelne Leben, das Land oder die ganze Welt verändern und Fragen aufwerfen, auf die Menschen vor Jahrhunderten Antworten suchten und die uns bis heute nicht loslassen. Die Wanderausstellung ist bis Anfang des Jahres 2022 im Foyer der Aula im Gymnasium Eppendorf zu sehen. Der Eintritt ist frei.
Es sind Themen, die weiterhin aktuell sind und nicht nur Schriftsteller*innen immer wieder herausfordern. Eingeladen sind die Schriftstellerin Katrin Seddig und Nil Doğan, die beide in Hamburg leben, aber nicht nur das Leben in Hamburg kennen. Wir freuen uns auf die Lesung und Performance und das Gespräch mit den beiden und dem individuellen Rundgang zu den Stationen der Aufsteller und den ganz unterschiedlichen Schriftstellerinnen und Schriftstellern in der Ausstellung.
Vielen Dank für die Unterstützung durch die Arbeitsgemeinschaft Literarischer Gesellschaften und Gedenkstätten e.V. (ALG)
Faltblatt Ausstellung Literatur im Land
Zu den Autoren:
Katrin Seddig
„Katrin Seddig, geboren in Strausberg (Brandenburg), studierte Philosophie in Hamburg, wo sie auch heute mit ihrer Familie lebt. Über ihren Roman «Runterkommen» (2010) schrieb die «taz»: «Ein brillantes Debüt … Anrührend, witzig und nüchtern.» Über «Eheroman» (2012) meinte «Der Tagesspiegel»: «Grandios, wie Katrin Seddig jeder ihrer Figuren einen eigenen Ton verleiht»; zuletzt erschien 2017 «Das Dorf». Katrin Seddig wurde mit dem Calwer Hermann-Hesse-Stipendium 2020 und für den noch nicht veröffentlichten Roman «Sicherheitszone» mit dem Hamburger Literaturpreis 2019 ausgezeichnet und 2020 mit dem Hubert-Fichte-Literaturpreis der Stadt Hamburg geehrt. Sicherheitszone Hamburg, 2017, kurz vor dem umstrittenen G20-Gipfel. Scheinbar unberührt geht das Leben der Familie Koschmieder seinen Gang, man wohnt in Hamburg-Marienthal, geordnete Verhältnisse. Doch je näher der Gipfel rückt, desto weiter ziehen sich die Risse, die eben noch irgendwo an den Rändern klafften, in die Familie hinein. Die Tochter Imke, engagiert bei der «Jugend gegen G20», denkt immer radikaler, mitgezogen von Freunden. Ihr Bruder Alexander ist Polizist und überzeugt von einer klaren Linie; vielleicht will er auch nur sein geheimes inneres Chaos bändigen. Die Geschwister, die sich eigentlich nahe sind, stehen in der sommerheißen, explosiven Stadt plötzlich auf verschiedenen Seiten. Als die Mutter an einer politischen Kunstaktion teilnimmt, der Vater unfreiwillig in ein Gerangel gerät und Imke ganz unerwartete Erfahrungen mit Gewalt, Ohnmacht und Freundschaft macht, verwischen alle Fronten. Die Situation wird für jeden zur Prüfung. Katrin Seddigs Familienroman beleuchtet die Ereignisse um den G20-Gipfel – und erzählt von einer erschütterten Gesellschaft, in der alle Gewissheiten ins Wanken geraten. Wer erzählt die richtige Geschichte? Und ist das eigentlich die Frage, auf die es ankommt?“
Quelle: Sicherheitszone – Katrin Seddig | Rowohlt
Nail Doğan
„Deutsch, Türkisch und Englisch treffen in den Gedichten von Nail Doğan aufeinander und bilden damit eine spezifische Sprachmischung vieler deutscher Großstädte ab. Doch darin erschöpfen sich die Gedichte lange nicht.
maschinenköpfe lachen unsere wörter aus.
Hier nennt man sich nicht einfach mal so
Bruder, Habibti, Bratan, Schwester. Tut man nicht.
Aber Peter nenne ich Abi.
Er fühlt sich geschmeichelt.
Ehre weil Abi großer Bruder
für Kardeş.Weil hier nennt man sich nicht einfach mal so beim
überqueren einer mittelmäßig befahrenen Straße
mein Herz, Freund, mein Olivenbaum, Sevdiğim.
Tut man nicht.Ich sage euch
die haben Liebe zu geben
keine Angst davor.
Das lyrische Sprechen ist in Doğans Lyrik immer an zwei Polen zugleich: Es ist ein fast prophetisches Sprechen, ein »Ich sage euch«, wie es in den heiligen Texten steht. Genauso ist sein Sprechen jedoch mitten auf der Straße, hier einer »mittelmäßig befahrenen«, auf der sich die Menschen treffen. Hier unten auf der Straße ist das Sprechen der Gedichte polyphon, stotternd, rau, Enjambements lassen das Lesen immer wieder scheitern, das Auge zurückschrecken, Anschluss suchen. In der Lesung zeigt sich dabei ein ganz eigener Rhythmus, eine eigene Melodie, die teilweise harte Themen mit angerissenen Pointen auf leichte Weise verbindet. Über all den kulturellen Symbolen und Schlüsselwörtern, die die Gedichte spicken und so die Pole verschiedener Milieus miteinander verbinden, ist es aber vor allem die reale Verbindung, die im Vordergrund steht. Hier werden die Wörter ausgelacht, die nur beschreiben können, während die Menschen zusammenwachsen. Oder eben auch nicht: »Gastarbeiter geholt Gesindel bekommen«.
Zwischen den Sprachen entsteht damit ein Raum, der Humor zulässt, Trauer, Gewalt, Missverständnis – alle Facetten der Einwanderungsgesellschaft eben, auch die unangenehmen. Ein Raum, in dem sich die Stimmen begegnen, so wie Doğans leichter fränkischer Dialekt im Deutschen mit dem Türkischen aufeinanderkracht. Er spielt, schreit, überzeichnet die Stimmen – und sie ergeben damit etwas Neues. Etwas Schönes, trotz allem.“
Quelle: http://www.openmikederblog.de/2020/11/07/nail-dogan-gedichte/