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2. September 2019

„Here We Are Today“ Bilder der bezauberndsten ästhetischen Form und des bittersten realen Inhalts – Ausstellungsbesuch mit Stefanie Busold im Bucerius Kunstforum

Am Donnerstag, 29. August 2019 besuchten wir, Schüler*innen, Eltern und Lehrer*innen, gemeinsam mit Stefanie Busold die Ausstellung im neu eröffneten Bucerius Kunstforum.

Hochaktuelle Fragestellungen stehen dort im Fokus der Ausstellung, mit der das Bucerius Kunstforum in neuen Räumen wiedereröffnet. In der Ausstellung „Here We Are Today. Das Bild der Welt in Foto- und Videokunst“ überzeugen die Arbeiten zunächst durch eine hohe Ästhetik. Erst auf den zweiten Blick und mit den Nachfragen von Stefanie Busold erschließt sich uns eine meist kritische Botschaft: In den Werken von Shirin Neshat, Bertram Kober oder Pieter Hugo und vielen anderen geht es um Krieg, Gewalt oder Massenkonsum, Heimat und Identität. Die Ausstellung liefert keine Antworten, sie regt aber zum Gespräch an.

Gleich zu Beginn schauen wir auf wunderbar schöne Fotoporträts von Shirin Neshat „The Home of My Eyes”. Neshat stellte den Porträtierten die Fragen „Was bedeutet Heimat für dich?“, „Was bedeutet kulturelle Identität für dich?“ Die Antworten stehen in den Gesichtern in Farsi kalligrafiert, sind aber nur schwer entzifferbar und verständlich wie sicher auch unsere individuellen Antworten es wären. In der Fotoserie nebenan „African Spirits“ inszeniert sich Samuel Fosso als berühmte Persönlichkeiten der afrikanischen und afroamerikanischen Geschichte, die postkoloniale Denkprozesse initiiert haben. Er zeigt sich als Freiheitskämpfer und ersten Premierminister des unabhängigen Kongo Patrice Lumumba, als amerikanische Bürgerrechtlerin Angela Davis, als den Menschenrechtsaktivisten Malcolm X, den Schriftsteller und Politiker Aimé Césaire, den Bürgerrechtler Martin Luther King Jr., den ehemaligen Kaiser von Äthiopien Haile Selassie sowie den Leichtathleten und Olympiasieger Tommie Smith, dem später für seine Geste der Titel aberkannt wurde.

Eva Leitolf untersucht in „Deutsche Bilder – eine Spurensuche“ den gesellschaftlichen Umgang mit rassistisch motivierter Gewalt. Erinnerungen an die No-go-Areas zur Zeit der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland werden wach…

Ach, was für wunderbare Himmelsbilder vom sanften rosa Wolken, was für ein herrlicher orangefarbener Abendhimmel. Tolle Bilder für das Esszimmer.

Stefanie Busold fordert uns auf, die Bilder von Trevor Paglen genauer anzuschauen. Ja, da sind kleine schwarze Punkte zu entdecken. Eine Drohne, die gibt es doch inzwischen überall. Es sind militärische Drohnen der sogenannten Reaper-Klasse. „Reaper“ – „Sensenmann“ – steht als zynische Beschönigung für die Fähigkeit dieser unbemannten Fluggeräte, aus großer Entfernung zu töten. Sie sind mit Schusswaffen oder Raketen ausgestattet und werden mit Hilfe von Satelliten gesteuert – oft aus Hunderten oder Tausenden Kilometern Entfernung. Einige Drohnenlenker sind auch in Deutschland stationiert.

Mit dieser militärischen Kriegsführung sind schon unendlich viele Unbeteiligte und Zivilisten getötet werden, da sich der Drohnenlenker einmal wieder „vertan“ hat, es war keine militärische Gruppe. Heute war es eine Hochzeitgesellschaft und vorgestern war es die Geburtstagsfeier eines kleinen Jungen.

Unerträglich ist danach die Videoarbeit zu betrachten, in der ein siebenjähriger gehörloser Junge namens Mohammad nur mit Gesten von der Gewalt berichtet, die seiner Familie im syrischen Kobane widerfahren ist. Die Genickschüsse, die er zeigt, die Gewalt der Soldaten, der Enthauptungen und barbarischen Folterungen und die unendlichen Strapazen ohne Vorhandensein von Wasser sind schwer erträglich. Es ist die Arbeit von Erkan Özgen: Wonderland, 2016.

Ähnlich schwer erträglich ist die Arbeit von Johanna Diehl, die sich mit der Auseinandersetzung unserer Eltern-, Großeltern- oder Urgroßeltern-Generation, unserer eigenen familiären Erfahrung von Flucht, Krieg und Vergessen (-Wollen) auseinandersetzt. Während der Krieg tobt, in den Konzentrationslagern in Europa gemordet wird, schreibt eine Frau – unsere Uroma, Oma, Mutter (?) in ihr Tagebuch: „Ein ruhiger Tag“.

So heißt auch die Arbeit von Johanna Diehl von 2016. 73 Jahre lang schrieb die Großmutter von Tennisspielen, Reisen, Arztterminen und privaten Verabredungen. Was fehlt, sind Gedanken oder Notizen zu politischen und gesellschaftlichen Geschehnissen oder auch zur eigenen Biografie von 1936–2009. Dazu schweigen die Tagebücher, wie auch einige unserer Familienmitglieder.

Ach, das ist ja alles so lange her. Und heute? „Here We Are Today“

Ja, Hier sind wir nun: In einer Welt mit Elektroschrott-Deponien, auf denen ghanaische Arbeiter und Kinder unter unwürdigen Bedingungen funktionsfähiges Material herausfischen. In Agbogbloshie, einem Stadtteil der ghanaischen Hauptstadt Accra, wird tonnenweise als funktionsfähig deklarierter Elektroschrott unter dem Deckmantel der Entwicklungshilfe angeliefert. Ja, es ist unserer Elektroschrott, den wir vielleicht einmal wieder beim dem Giganten Amazon (Andreas Gursky: Amazon, 2016) bestellt haben und der jetzt entsorgt werden muss. Aber das doch bitte nicht in Deutschland.

Interessant, dass es jetzt die ersten Länder gibt, die uns unsere gutgemeinte Entwicklungshilfe / unseren gefährlichen Müll zurückschicken.

Beeindruckend sind die Fotografien von Pieter Hugo „Permanent Error”, 2009/10, wie er es mit ihnen schafft, die Porträtierten so selbstgewusst erscheinen zu lassen. Er zollt diesen auf einer der größten gefährlichen Müllhalden der Welt großen Respekt.

So schöne Bilder – so berührende Inhalte. Wenn es doch „nur“ Kunst wäre, aber es ist (unsere) Realität …

 

Vielen Dank, liebe Stefanie Busold

für diese sehr anrührende Führung durch die Ausstellung „Here we are today“! Die Gespräche sind noch lange nicht abgeschlossen und vielleicht bewirkt Kunst doch auch etwas in unseren Haltungen und Handlungen.

Janina Arlt

Für die Kultur am Gym Epp

 

Ausstellungskritiken

Die ZEIT: „Und hinter tausend Bildern eine Welt“ Das Bucerius Kunst Forum zieht um und eröffnet mit „Here We Are Today“. Die Ausstellung wirkt harmlos, aber sie ist alles andere als das. Eine Rezension von Florian Zinnecker, Hamburg

https://www.zeit.de/hamburg/2019-06/here-we-are-today-bucerius-kunst-forum-fotoausstellung

 

NDR Kultur „Ausstellung nicht nur für Kunst-Kenner“ – Bucerius Kunst Forum hat neue Räume eröffnet von Anina Pommerenke

https://www.ndr.de/kultur/kunst/Bucerius-Kunst-Forum-hat-neue-Raeume-eroeffnet,bucerius244.html

 

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