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13. Januar 2022

Göttinspeise oder warum Onkel Mustafa sich ein Gedicht über die Achselhöhle wünscht

Vorweihnachtliche Premiere – Lesung mit Nail Doğan

 

„GÖTTINSPEISE“ (Nail Doğan)

Außerdem kennt Onkel Mustafa

Das Wort Achselhöhle nicht.

 

Achselhöhle du wunderschöne

Vertiefung unter dem Schultergelenk.

 

Die Türken sagen zur Achselhöhle

koltukalti.

 

Unter dem Sofa

Unter Mehrheiten

Über Möwenflügel

Am leisesten Punkt

Eines vollgepackten

Leben unter euch

Unter mir.

 

Außerdem kennt Onkel Mustafa

Das Wort Achselhöhle sehr wohl.

Er sagt, ich soll ein Gedicht davon

schreiben (….)

aus: Ziegel, Hamburger Jahrbuch für Literatur 2021, S. 404

Ungewohnt und aufregend war es, als am letzten Freitag vor den Weihnachtsferien Schülerinnen und Schüler aus den Jahrgängen 11 und 10 in der Aula saßen und den Lyriker und angehenden Theaterschauspieler Nail Doğankennenlernten.

Ungewohnt war es natürlich, weil in den zurückliegenden Monaten Lesungen und kulturelle Veranstaltungen durch die Corona-Auflagen an der Schule kaum möglich waren.

Ungewohnt war es aber vor allem, weil mit Nail Doğanein Schriftsteller am Gymnasium Eppendorf zu Gast war, der mit seiner Anteilnahme, seiner Biographie und mit seiner Lebensphilosophie und Auffassung über Literatur die Schülerinnen und Schüler mehr als überraschte, viele von ihnen begeisterte.

Bevor Nail zu lesen begann, fragte er zuerst einmal die Schülerinnen und Schülern, wie es ihnen gehe, wie sie mit dem „Corona-Leben“ zurechtkämen. Denn er habe als Jugendlicher kein Wochenende versäumt, um Clubs zu besuchen. Jedes Wochenende ohne Party sei ein verlorenes gewesen. Einfühlsam und interessiert hörte Nail sich an, was die Schülerinnen und Schüler von sich erzählten. Er ließ sich Zeit, nickte Einzelnen motivierend zu, sie sollten berichten.

Auch Nails Biographie und Schriftstellerkarriere ist mehr als ungewöhnlich. Sein erstes Buch las er, als er 18 Jahre war. Er war damals für kurze Zeit in der Türkei, als er in einer Buchhandlung das Werk des Schriftstellers Charles Bukowski entdeckte. Dessen Texte hätten ihn so fasziniert, dass er beschloss, Schriftsteller zu werden, und mit dem Schreiben von Gedichten begann. Nail verfasst aber nicht nur Gedichte, er arbeitet auch am Thalia Theater in mehreren Projekten, u. a. lädt er in seinem monatlichen stattfindenden Salon „Tülüfülükülümülü“ Künstler und Musiker ein, inszeniert Audiowalks, wie gerade aktuell „Sokak oder die Kunst darin Straßenkatzen nicht aufzuwecken“.In den letzten Jahren gewann er verschiedene literarische Preise, u. a. den „Open Mike“ im Bereich Lyrik.

Nails Meinung zur Deutung von Gedichten, insbesondere auch zu seinen Gedichten, sprach vielen Schülerinnen und Schülern aus dem Herzen. Er maße sich nicht an, das Werk anderer Autoren zu deuten, er könne nicht wissen, welche Gedanken diese verfolgen. Auch er erkläre seine Gedichte nicht, könne höchstens erzählen, was ihn bewegt, wie oder wann das Gedicht entstanden sei. Er wünscht sich, dass die Sprache seiner Gedichte auf die Zuhörerinnen und Zuhörer wirkt, sie zu eigenen Gedanken anregt.

Als Nail am Ende der Lesung gefragt wurde, ob er alles im Leben erreicht habe und mit seinem Leben zufrieden sei, bejahte er dies ausdrücklich. Ihm fehle nichts, er hänge nicht an materiellen Dingen und gäbe nichts auf Statussymbole. Er sei glücklich in seinem kleinen Zimmer in Altona, vor allem weil er jetzt von seinem Schreiben und der Theaterarbeit leben könne. Das sei sein Traum gewesen, unabhängig zu werden, nicht auf Nebenjobs angewiesen zu sein, und seinen Tagesablauf, vor allem seine Schreib- und Lesezeiten, selbstbestimmt einteilen zu können.

Nach der Lesung waren sich die die Schülerinnen und Schüler einig: Die Begegnung mit Nail Dogan war eine Bereicherung, vor allem weil er kein „klassischer Dichter“ war.

Zitate von Schülerinnen und Schüler zur Lesung:

Im Unterricht liest man häufig nur Gedichte von verstorbenen Autoren und bekommt nicht wirklich mit, was für Gedanken und Gefühle heutige Autoren haben.(Coralie)

Ich wusste nicht, dass es immer Personen gibt, die ihren Alltag damit verbringen, Gedichte zu schreiben und davon leben zu können.(Emilia)

Was für mich interessant war, dass Nail gesagt hat, dass es sehr schwer ist, bei jedem Gedicht eine Interpretation zu verfassen. Manche Dichter haben sich womöglich nicht bei jedem Wort und bei jedem Satz was gedacht. Da stimme ich zu. (Sophie)

Ich glaube, er hat genau begriffen, worum es wirklich im Leben geht. (…) Also insgesamt würde ich mich freuen, wenn er nochmal kommen könnte. Oder wir zu ihm? So einen Typ bräuchten wir als Lehrer in der Schule. (Olivia)

Mich hat seine Sicht auf viele Dinge sehr beeindruckt und sehr zum Nachdenken gebracht. Am meisten hat mir das Gedicht „Göttinspeise“ gefallen.(Zoe)

Ehrlicherweise konnte ich den Gedichten von Nail Dogan nicht ganz folgen, jedoch konnte man durch die Fragen der Anderen seine Motivation und Gedanken viel besser verstehen. Das war sehr hilfreich für mich, und ich würde mich freuen, wenn wir so etwas noch einmal wiederholen würden! (Finja)

Dass man Fragen stellen konnte, fand ich mit das Beste an der Stunde, da man so noch mehr über den Künstler erfahren konnte.(Liv)

 

Die Lesung fand im Rahmen der Ausstellung „Was bleibet aber … Literatur im Land“ und wurde von der ARbeitsgemeinschaft Literarische Gesellschaften und Gedenkstätten e. V. (ALG) gefördert.

 

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