
Das Bili-Profil zu Besuch in den Hamburger Kammerspielen
Die Hamburger Kammerspiele – Betritt man diesen Ort als Zuschauer, so ahnt man vielleicht nicht auf den ersten Blick, was sich hinter der Fassade dieses Theaters verbirgt. Denn, was sich zu Zeiten des zweiten Weltkrieges auf und hinter der Bühne dieser Institution abspielte, ist Teil einer hässlichen Periode. Das Theater musste sich einer Zwangsentwicklung von einer Kulturstätte der jüdischen Gemeinde hin zu einer Sammelstelle für Deportationen in das Grauen unterziehen.
Heute, Jahrzehnte später, begreifen die Hamburger Kammerspiele und ihr Intendant Axel Schneider es weiterhin als die Aufgabe des Hauses die Geschichte lebendig zu halten, nicht um der schönen Erinnerungen willen, wahrlich nicht, sondern vielmehr um nicht zu vergessen, um der Gesellschaft ein Bewusstsein für die vergangenen Fehler zu verschaffen. Fehler, vor denen wir nicht automatisch gewahrt sind. So kam es am Dienstag, 31. Januar 2017, dazu, dass sich das Bilinguale Profil des Gymnasiums Eppendorf im Rahmen des Geschichtsunterrichts an diesem geschichtsträchtigen Ort einfand, um sich ein Stück der besonderen Art anzuschauen. Wahre Begebenheiten bilden die Grundlage des besuchten Theaterstücks „Place of Birth: Bergen-Belsen“.
Thema: Bergen-Belsen in der Nachkriegszeit, mehr noch, der Zeit nach einer Herrschaft, die eine Massenvernichtungsmaschinerie in Gang setzte, eine Nation indoktrinierte. Die Hauptfiguren: Jakob Weintraub, geboren in Bergen-Belsen im Konzentrationslager als (später) traumatisierter Sohn zweier jüdischer Überlebender, zur Zeit des Stücks ist er Wanderführer in der Lüneburger Heide, sowie Adolf Eichmann, im Nazi-Regime zentraler Verantwortlicher für die Vertreibung, Deportation und Ermordung von etwa sechs Millionen Juden in Europa. Er hielt sich ganze vier Jahre in der Lüneburger Heide, in Altensalzkoth (Setting des Stücks) versteckt. Hinzu kommen lauter (fiktionale) Zeugenberichte unterschiedlichster Beteiligter. Das Besondere: Allesamt werden von einem Mann, Peter Bause, gespielt. Eine herausragende künstlerische und schauspielerische Leistung, wenn man bedenkt, welche Empathie, welche Konzentrationsfähigkeit eine solche Performance erfordert. Die bedeutenden, teils wirklich eindringlichen Texte und Persönlichkeiten werden dem Zuschauer auf diesem Wege facettenreich nahgebracht. Dem Publikum wird es von Zeit zu Zeit richtig unangenehm auf den Stühlen, so wird man von dem Konglomerat aus Schauspielkunst, unprätentiösem, ehrlichem Text und der düsteren Atmosphäre absorbiert. Das Bühnenbild besticht durch Symbolik und Schlichtheit: Pflanzendickicht die Natur der Lüneburger Heide andeutend, hinzu kommt Nebel, welcher langsam verschwindet und das Dickicht wird von Textfragment zu Textfragment gelüftet, sodass gleichsam die Dunkelheit, die Geschichten dahinter, nach und nach enthüllt werden. Das aufkeimende Unbehagen beim Zuschauer wird zudem unterstützt durch den raffinierten und wohldosierten Einsatz von Witzen, welche in ihrer zynischen Wesensart bloßes Schlucken beim Einzelnen hervorrufen und die Grausamkeit dieser Zeit nochmals unterstreichen. Voller Sensibilität bringt Peter Bause die Vielschichtigkeit der gebrochenen Persönlichkeit Jakob Weintraub zum Ausdruck, doch genauso feinfühlig schafft er es in die Rolle des Täters, des Mitläufers als auch des Hilflosen zu schlüpfen.
Wir, als Bilinguales Profil empfinden das Theaterstück, trotz kleiner Längen, in denen es hier und da zu Doppelungen kam, als ausgesprochen empfehlenswert. Insbesondere in Hinblick auf unsere aktuelle gesellschaftliche Lage und den einhergehenden Bildungsaspekt des Stückes. Es kann nicht oft genug betont werden, wie schnell eine Spirale der Gewaltherrschaft herzustellen ist, wie unmerklich sich eine Idee in den Gedanken verankert und die Folgen, in diesem Falle des Nazi-Regimes, der Gleichschaltung, des Genozids, der Suche nach Schuldigkeit und Schuldigen, wie im Stück dargestellt, sollten uns allen eine deutliche Warnung sein. Wir tragen keine Schuld mehr für das, was damals geschah, doch die Zukunft gestalten wir und nur mit einem wachsamen Blick, welcher die Vergangenheit und die damit einhergehende Verantwortung eines jeden, gleichgültig welchen Alters oder welcher Nationalität, erkennt, können wir unsere demokratischen Werte weiterhin schützen. Wir alle sind uns in diesem Punkt, der auch gewissermaßen das Fazit des besuchten Theaterstückes „Place of Birth: Bergen-Belsen“ summiert, einig. Vielen Dank an die Hamburger Kammerspiele für diesen wichtigen, gesellschaftlichen Beitrag!
Lara Peters, S2, Bili-Profil