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25. Juni 2019

Klassenzimmer unter Segeln …

Das bedeutet, ein halbes Jahr mit dem traditionellen Segelschiff Thor Heyerdahl auf den Spuren der großen Entdecker zu segeln, Unterrichtsstoff anhand eigener Erlebnisse zu erarbeiten, neue Länder und Kulturen zu entdecken, den Ozean hautnah zu erleben und vor allem ein halbes Jahr lang unsere wunderbare Welt zu erkunden.

Vor gut einem Jahr erfuhr ich vom Klassenzimmer unter Segeln, bewarb mich, fuhr einen Probetörn und hatte schließlich tatsächlich das große Glück, Teil der 50-köpfigen Besatzung des Jahrgangs 18/19 zu werden. Davon gehöhrten 16 zur Crew, das heißt Stamm, Lehrer oder Steuermann. Der Rest waren wir, 34  Jugendliche der zehnten Klasse. Wir Schüler kamen aus ganz Deutschland, aber auch aus England und Belgien waren zwei dabei.

Die Reise startete in Kiel, dem Heimathafen der Thor Heyerdahl. Sie ist ein Dreimast-Toppsegelschoner, benannt nach dem norwegischen Forscher Thor Heyerdahl, alles in allem 50 Meter lang und 6,50 Meter breit. Der höchste Mast misst 30 Meter. Die erste Woche war Werftzeit. Wir lernten uns als Crew kennen und arbeiteten am Schiff, verproviantierten für die erste Etappe und bezogen unser neues Zuhause.

Am 14. Oktober 2018 hieß es dann „Leinen los!“ und wir liefen aus, hinaus ins Abenteuer! Der nächste Hafen sollte Falmouth in England sein, etwa eine Woche später. Wir lernten die Grundlagen des Segelns und der Seemannschaft, gingen die ersten Male Wache und hatten das erste Mal Backschaft, also Küchendienst. „Wache gehen“ bedeutet, das Schiff zu fahren. Jeder hat täglich sechs Stunden Wache, drei am Tag und drei in der Nacht. Während der Wache wird das Schiff stündlich an allen Stellen kontrolliert, die Position wird vermerkt und das Wetter beobachtet. Natürlich muss das Schiff auch gesteuert werden, denn es gibt keinen Autopiloten. So steht immer jemand am Ruder, eine der schönsten Aufgaben an Bord, vor allem bei Sturm! „Backschaft“ heißt, viermal am Tag für 50 Personen zu kochen, zu sorgen und abzuwaschen. Denn eine Spülmaschine gibt es nicht. Zu Beginn der Reise dauerte das noch 16 Stunden am Tag, gegen Ende nur noch 14 Stunden, denn die Abläufe wurden immer vertrauter. Um all diese Aufgaben herum hatten wir natürlich Nautik-Unterricht. So erreichten wir schließlich nach einer anstrengenden ersten Woche Falmouth und konnten uns zwei Tage von der Seekrankheit erholen, das Schiff pflegen und die Stadt erkunden.

Als nächster Hafen war St. Cruz de Tenerife geplant, aber die Winde meinten es so gut mit uns, dass wir für zwei Nächte in der Bucht von Porto Santo bei Madeira ankern und die Insel erkunden konnten. Anfang November liefen wir dann in Teneriffa ein, mit über zweitausend Seemeilen im Gepäck, nautischer Grundausbildung und großer Lust, die Reise jetzt erst richtig anzugehen! Wir bestiegen den Pico del Teide und besuchten das Thor-Heyerdahl-Museum, arbeiteten am Schiff und verproviantierten für die nun anstehende Atlantiküberquerung.  Jeder wurde ein letztes Mal auf seine Gesundheit geprüft, denn wir sollten nun für einen Monat ganz auf uns gestellt sein.

Am Abend des 11. November 2018 stachen wir in See, hinaus in die Einsamkeit und mit Kurs auf Palm Island in der Karibik. Natürlich begleitete die Seekrankheit einige von uns weiter. Ich blieb wie auch auf der ersten Etappe verschont.  Und so konnten wir nach den ersten fünf harten Tagen alle das Meer genießen. Der Wachbetrieb und die Backschaft wurden zur Routine und wir hatten das erste Mal Unterricht. Entweder an Deck, während einem das Meerwasser um die Füße strömte oder, bei schlechtem Wetter, unter Deck. Ich habe schon oft versucht, meine Atlantiküberquerung zu beschreiben, aber es gelingt mir nicht. Es ist schwer nachzuvollziehen, wie es ist, mehrere Wochen nur Wasser zu sehen. Nachts über einem ein Sternenhimmel, wie ich ihn noch nie erlebt hatte. Täglich wurde es heißer, die Winde trieben uns zuverlässig voran und wir erreichten Mitte Dezember tatsächlich Palm Island.

Die letzten Tage auf See hatte die erste Schiffsübergabe stattgefunden: Wir Schüler hatten alle Verantwortung für die Thor Heyerdahl bekommen, jede/r auf einer Position, die zu ihr/ihm passte. Nach einer Nacht vor Palm Island verholten wir und suchten uns einen neuen Ankerplatz vor mehreren unbewohnten Inseln, wo wir eine Woche blieben und entspannten. Ich tauchte mit Schildkröten am Riff, pflückte Kokosnüsse an Land und schlief am einsamen weißen Sandstrand.

Als nächsten Hafen liefen wir St. George auf Grenada an. Von dort aus segelten wir weiter nach Westen, mit Kurs auf Panama. Wieder waren Winde und Seekrankheit mit uns, und knapp eine Woche später gingen wir vor den San Blas Inseln, einer traumhaften Inselgruppe im Norden Panamas, vor Anker. Wir feierten dort Weihnachten und tauschten uns mit den Kunas aus, einer indigenen Bevölkerungsgruppe, die diese Inseln bewohnt. Auch wenn es Weihnachten hieß, hatte es für mich nichts mit Weihnachten zu tun. Am Morgen des 24. war ich Schnorcheln, bei über 30 Grad. Trotzdem war es ein schönes Fest und wir beschenkten uns gegenseitig mit selbstgemachten Geschenken.

Danach fuhren wir eine Nacht lang zum Festland Panamas und ankerten in der Bucht von Portobelo. Der erste große Landaufenthalt stand bevor! Wir verließen das Schiff für drei Wochen und reisten zuerst durch den Regenwald. Zu Silvester saßen wir am Lagerfeuer im Dschungel und statt Feuerwerk hörte ich nur das Gezwitscher der tropischen Vögel und die Geräusche des Urwalds. Ich sah Tiere, von denen ich niemals gedacht hätte, dass sie existieren und tauchte irgendwann so sehr in die Wildnis ein, dass mich Panama City fast erschlug, als wir eine Woche später dort ankamen. In der riesigen und dreckigen Stadt blieben wir Gottseidank nur kurz, gerade lange genug, um einen kleinen Eindruck zu bekommen. Wir zogen weiter ins Hochland, nach Boquete, wo wir eine Woche in Gastfamilien lebten, den Barú bestiegen (den höchsten Berg Panamas), eine Kaffeeplantage besuchten und in der Sprachenschule intensiv Spanisch lernten, um die letzten Tage in den Regenwald zurückzukehren und bei den Nasos zu verweilen, einem indigenen Bevölkerungsstamm, der noch sehr ursprünglich am Rio Teribe lebt.

Ende Januar kehrten wir schließlich auf die Thor Heyerdahl zurück, auf die wir uns nach dem langen Landaufenthalt wirklich gefreut hatten. Das Schiff war unser Zuhause geworden und die Zeit auf See tat gut, um die neuen Eindrücke zu verarbeiten. Nach gut einer Woche auf See konnten wir wie geplant Kuba anlaufen, ganz im Westen des Landes, in Maria la Gorda. Wir kamen durch den Zoll und konnten tatsächlich in einem der wenigen sozialistischen Länder der Welt an Land gehen. Bereits in Kiel hatten wir Fahrräder in der Ladeluke verstaut und radelten nun mit diesen nach Pinar del Rio, wo wir auch eine kubanische Schule besuchten und uns mit der kubanischen Jugend austauschten, der wir unsere Fahrräder überließen. Wir reisten ins Viñales-Tal und erkundeten Kubas ländliche Gegenden, wanderten und halfen bei der Tabakernte. Für mich einer der schönsten Orte der Reise und besonders die Gespräche mit den Bauern und ein Abendausritt in den Sonnenuntergang habe ich noch stark in Erinnerung.

Weiter ging es in Kleingruppen von jeweils sechs Leuten. Jede Gruppe besuchte einen anderen Teil des Landes. Meine Gruppe fuhr mit dem Bus Richtung Osten nach Trinidad und erlebte Kuba live. Wir lebten bei einer älteren Dame, die uns bekochte  und uns mitnahm ins kubanische Leben. Schließlich trafen sich alle Kleingruppen in Havanna wieder. Auch wenn wir nur rund eine Woche voneinander getrennt waren, waren wir alle froh, uns wiederzusehen und uns gegenseitig von den letzten Tagen zu berichten. Die übrigen Tage auf Kuba verbrachten wir in Havanna, arbeiteten am Schiff, empfingen die Schüler der Schule, an der wir gewesen waren, an Bord und feierten mit ihnen.

Am Abend des 16. Februar 2019 brachen wir schließlich auf, zur zweiten Atlantiküberquerung. Das nächste Ziel sollte Bermuda sein. Die Seekrankheit war bei den meisten nun nicht mehr so intensiv, wie während der letzten Etappen. Allmählich hatte sich der Körper an den Seegang gewöhnt. Die zweite Schiffsübergabe stand an. Diesmal sollten alle elektronischen Hilfsmittel abgeschaltet werden, und wir mussten uns ausschließlich auf die traditionelle astronomische Navigation stützen, die wir seit Teneriffa gelernt hatten: Und ja, wir segelten nicht an Bermuda vorbei, sondern fanden die kleine Inselgruppe und liefen Ende Februar dort ein, arbeiteten am Schiff und verarbeiteten immer noch die vielen Eindrücke aus Kuba. Neuer Proviant erreichte uns und Anfang März stachen wir wieder in See, mit Kurs auf die Azoren. Die Rückreise war ganz anders als die erste gemütliche, warme Atlantiküberquerung. Raues Wetter, hohe Wellen, bis wir schließlich nach knapp zwei Wochen auf dem Ozean bei der Insel Flores (Azoren) vor Anker gingen.

Wir hatten durch guten Wind Zeit gewonnen und konnten uns diesen Extra-Aufenthalt leisten. Zwei Tage später liefen wir dann in der Marina von Horta auf Faial ein, einem bekannten Seglerhafen. Die Inseln sind paradiesisch, alles ist wunderbar grün und die Menschen sind sehr nett. Wir bestiegen den Pico, einen Vulkan auf der Nachbarinsel, und fuhren mit Schlauchbooten hinaus, um Orcas und Buckelwale zu beobachten. Auch wenn wir auf unserer gesamten Reise schon viele Male Delfine und Wale gesehen hatten, war dieser Whalewatching- Tag wirklich beeindruckend.

Schließlich verließen wir auch die Azoren und machten uns auf den Weg nach England. Zum Glück waren wir mittlerweile sehr mit dem Schiff vertraut, denn ein riesiges Sturmtief erwartete uns bereits. Wir bekamen Windstärke 10-11 und gut zehn Meter hohe Wellen. Wenn ich ein Highlight der Reise nennen sollte, dann war es dieser Sturm. Die Wellen schlugen über Deck, während der Nachtwache sah man gar nichts mehr und in seiner Koje war man schwerelos. Nach dieser anstrengenden Sturmfahrt erreichten wir schlussendlich England und konnten uns dort erholen, Diesel bunkern und unseren Wasservorrat auffüllen.

Für die letzte Etappe zurück nach Kiel war Gegenwind vorhergesagt worden und wir mussten mit der Maschine dagegen anschieben. Die letzten Tage brachen an, und das letzte Ziel war es nun, das Schiff sicher durch den regen Verkehr des Ärmelkanals zurück nach Hause zu bringen. Und so liefen wir am 20. April 2019 stolz in Kiel ein und wurden von unseren Eltern und Verwandten in Empfang genommen. Die Reise endete dort, wo sie begonnen hatte. Wir mussten nun das Schiff zurücklassen und weiter unsere eigenen Wege gehen. Die Schule und das Leben zuhause warteten. Aber unsere tolle Bordgemeinschaft bleibt natürlich weiterhin bestehen, nur nicht mehr an Bord der Thor Heyerdahl.

Nach sechseinhalb Monaten an Bord, 12.700 Seemeilen, zwei vollen Tagebüchern und vielen unglaublichen Erfahrungen bin ich nun wieder zuhause und unendlich dankbar, dass ich einen solchen Törn erleben durfte! Ich kann diese Reise denen empfehlen, die das Meer lieben, die Welt sehen möchten und bereit sind, das Vertraute zu verlassen!

Falls ihr Fragen habt, sprecht mich gerne an. Vielen Dank auch an Herrn Grupe und Herrn Thomasius, die mich in der Vorbereitung unterstützt haben!

(Text und Fotos: Clara Schreiber (10b))

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