
Kanada-Austausch – der Gegenbesuch
Mittwochmorgen, 22. Mai – vier Uhr. Eine Gruppe müder Jugendlicher saß zusammen mit zwei Lehrern am Hamburger Flughafen. Die Gruppe bestand aus 19 Schülerinnen und Schülern des Gymnasium Eppendorf sowie den beiden Lehrern Frau Lehmann und Herr Gotowos. Wir waren aufgeregt, denn bald sollte es nach Kanada gehen. „Hoffentlich klappt alles“, dachte ich mir, denn eigentlich hätten wir bereits am Vortag fliegen sollen, was aber dadurch verhindert wurde, dass unser Flug ausgefallen war. Daher also diese Notlösung, die es nicht nur erforderte, ganz früh morgens am Flughafen zu sein, sondern auch einen zusätzlichen Zwischenstopp und einen siebenstündigen Aufenthalt in Toronto zur Folge hatte. Dennoch war die Stimmung sehr gut und alle freuten sich auf die kommenden zwei Wochen.
Im April hatte ich bereits über die Tage berichtet, die unsere kanadischen Gäste bei uns in Hamburg verbrachten, und nun waren wir mit unserem Gegenbesuch an der Reihe. Glücklicherweise verliefen die drei Flüge ohne größere Zwischenfälle und nach über 24 Stunden kamen wir endlich in Edmonton, Alberta, an. Dort wurden wir von den ebenfalls aufgeregten Gastfamilien abgeholt, mit denen dann jeder von uns nach Hause fuhr. „Zu Hause“ angekommen, fiel ich ziemlich schnell ins Bett. Nicht nur, dass ich die letzten Stunden sehr wenig geschlafen hatte, es war außerdem auch schon spät abends und für den nächsten Tag war direkt ein kompletter Schultag geplant.
Die Schule war ziemlich anders als in Deutschland. Einerseits hatte sie weit über 1.000 Schülerinnen und Schüler, während bei uns am Gymnasium Eppendorf ja zirka 800 Kinder und Jugendliche unterrichtet werden. Andererseits ist das kanadische Schulsystem so aufgebaut, dass man ab der zehnten Klasse auf eine Highschool geht, sodass sich die oben erwähnten 1.000 Schüler gerade einmal auf drei Jahrgänge verteilen. Außerdem gibt es dort teilweise ganz andere Fächer, als wir sie kennen; Foods beispielsweise. Hier werden etwa Kekse gebacken. Cosmetology heißt eine andere Disziplin, bei der mir die Haare gewaschen und gestylt und Frau Lehmann die Fingernägel lackiert wurden. Ein weiterer Unterschied liegt im Stundenplan der Kanadier. Diese haben jeden Tag die Fächer, die sie am Anfang des Jahres individuell gewählt haben. Zwischen zwei Fächern gibt es – abgesehen von einer Mittagspause – nur fünfminütige Unterbrechungen, die gerade reichen, den Klassenraum zu wechseln. Die zwei Tage, die ich mir die kanadische Schule angeschaut habe, fand ich unglaublich interessant, und es hat mir sehr viel Spaß gemacht, neue Leute kennenzulernen und die Unterschiede zwischen den Schulsystemen festzustellen.
Das darauffolgende Wochenende stand uns überwiegend frei, also in den Gastfamilien, zur Verfügung. Am Samstag ging ich mit meinen Gastgebern erst auf einen Markt, dann machten wir eine Tour durch Edmonton auf Segways und nach dem Abendessen besuchten wir noch ein Konzert. Am Sonntag war dann die einzige gemeinsame Aktivität mit allen Teilnehmern am Austausch angesagt: ein Footballspiel. Da die Hauptsaison noch nicht begonnen hatte, war es ziemlich leer im Stadion. Die Stimmung war aber trotzdem super. Besonders toll war, dass wir mit unseren Gastgeschwistern die einzigartige Möglichkeit hatten, vor dem Spiel gemeinsam auf das Feld zu gehen und eine riesige kanadische Flagge in die Höhe zu halten, während die Nationalhymne gespielt wurde. Als Überraschung wurde unsere Schule außerdem persönlich auf der Anzeigetafel des Stadions begrüßt. Das war definitiv ein Erlebnis, das wir alle so bald nicht vergessen werden.
Bis Montag verbrachten wir dann noch weitere schöne Stunden in den Gastfamilien, bevor wir uns morgens an der Schule trafen, wo bereits unser Bus auf uns wartete. Die zwei Wochen Austausch beinhalteten nämlich nicht nur einen Aufenthalt bei den Gastfamilien, sondern auch eine mehrtägige Tour durch die Rocky Mountains. Von unseren Austauschpartnern wurden wir dorthin zwar nicht begleitet, aber so hatten wir Schüler vom Gymnasium Eppendorf die Möglichkeit, uns untereinander besser kennenzulernen. Die Tour startete in Richtung Drum Heller, auch bekannt als Hauptstadt der Dinosaurier. Nachdem dort Ende des 19. Jahrhunderts Dinosaurier-Fossilien entdeckt worden waren, errichtete die Stadt nicht nur ein Naturkundemuseum, sondern benannte auch ihre Straßen nach verschiedenen Dinosaurier-Arten und baute die weltgrößte Dinosaurier-Skulptur. Danach machten wir noch verschiedene Zwischenstopps bei einer langen Hängebrücke und bei der kleinsten Kirche der Welt. Wir bestaunten all das und fuhren danach weiter zu den Hoodoos, Felsformationen, auf denen wir eine Weile herumkletterten, bevor wir zum „Horseshoe Canyon“ weiterfuhren, bei dem wir noch einige schöne Fotos machten. Nach einem sehr langen und aufregenden Tag kamen wir abends in Calgary an, wo wir nach einem leckeren Abendessen müde in unsere Hotelbetten fielen.
Am Dienstag besichtigten wir Calgary inklusive Fußgängerzone und Shopping-Center. Das nächste Highlight wartete im Calgary Tower auf uns. Der Turm ist 191 Meter hoch und hat im höchsten Stockwerk eine große Glasplatte im Boden. Sich allein schon daraufzustellen, ist nichts für schwache Nerven. Doch unsere Lehrer hatten sich etwas Besonderes für uns ausgedacht. Sie stellten uns die Herausforderung, einen Handstand auf dieser Glasplatte zu machen. Diejenigen, die ein Beweisfoto davon machten, sollten abends einen köstlichen Nachtisch bekommen. Ich kann nur sagen, es hat sich gelohnt. Nach diesem aufregenden Stopp ging es weiter zum Winter Olympics Park, wo wir die Sommerrodelbahn benutzen konnten. Auch an diesem Tag machten wir noch viele weitere Zwischenstopps, zum Beispiel besuchten wir den Banff National Park und den Lake Minnewanka, wo das Wasser so klar ist, dass wir damit unsere Flaschen auffüllen konnten. Zum Schluss schauten wir uns noch das Fairmont Banff Springs Hotel an, das eine wunderschöne Aussicht bot.
Für den Mittwoch hatten sich unsere Lehrer etwas Nützliches ausgedacht. Wir sollten im Cave and Basin Müll sammeln und taten somit wirklich eine gute Tat. Diese Freiwilligenarbeit verbanden wir mit einer Wanderung durch eine wunderschöne Gegend, die uns ordentlich zum Schwitzen brachte. Nach einer kurzen Busfahrt folgte direkt die nächste Wanderung durch den Johnston Canyon. Am Ende des Tages besuchten wir noch den Lake Louise, der bekannt dafür ist, einen sehr schönen Blauton zu haben, wenn die Sonne darauf scheint. Als wir ankamen, entdeckten wir jedoch, dass das Wasser noch überwiegend gefroren war. Nichtsdestotrotz war es ein unglaublicher Anblick, der noch dadurch verstärkt wurde, dass der See von Bergen umrahmt ist.
Der Donnerstag startete mit einem fantastischen Picknick an den Cascade Ponds. Dort genossen wir die Stille und erfreuten uns an den zahlreichen Erdhörnchen, die um uns herumliefen. Danach fuhren wir erst zum wunderschönen Bow Lake und dann zum Mistaya Canyon. Diese atemberaubende Schlucht bot einen tollen Anblick enormer Wassermengen, die als Wasserfall in die Tiefe stürzten. Auch hier hatten wir wieder die Möglichkeit, auf den Steinen herumzuklettern, und wenn das Wasser nicht mit einer solch hohen Geschwindigkeit an uns vorbeigerauscht wäre, hätten wir es wieder trinken können. Als nächstes war unter anderem ein Besuch beim Athabasca Glacier geplant. Um zu diesem Gletscher zu gelangen, mussten wir einen bestimmten Bus nehmen, dessen Reifen einen Meter breit waren. Der Grund dafür war, dass Teile des Weges zum Gletscher extrem steil und außerdem voller Schnee und Eis waren, sodass ein Fahrzeug mit normalen Reifen diesen Weg nicht sicher hätte nehmen können. Der Gletscher war atemberaubend. Wir hatten zirka 20 Minuten Zeit, uns auf dem Eis umzuschauen, Fotos zu machen und klarstes Gletscherwasser zu probieren. Nach einem Zwischenstopp bei den Sunwapta Falls kamen wir abends in Jasper an, wo wir von einer Luft empfangen wurden, die nach Rauch roch und uns die Sicht erschwerte. Besonders im Sommer gibt es in der Gegend immer wieder heftige Waldbrände, deren Rauch auch in die umliegenden Gegenden zieht. Auch wenn dies für uns sehr ungewohnt war, bestand keine Gefahr, und so gingen wir nach einem leckeren Abendessen im Restaurant ganz entspannt ins Bett. Im Gegensatz zu den Hotels, in denen wir zuvor geschlafen hatten, übernachteten wir hier in hübschen kleinen Holzhütten, die direkt an einem Fluss gelegen waren.
Am Freitag war wieder Freiwilligenarbeit angesagt. Anders als am Mittwoch sammelten wir hier aber nicht Müll, sondern befreiten einen Waldpfad von Ästen, Unkraut und Baumstämmen. Das Ganze war zwar teilweise ziemlich anstrengend, aber es machte auch viel Spaß und dadurch, dass wir direkt sehen konnten, was wir bewirkten, lohnte sich das Schuften. Nach einem Zwischenstopp beim Maligne Canyon besichtigten wir das Valley of Five Lakes. Auch dort machten wir wieder eine mehrstündige Wanderung, die aber vor allem dadurch verlängert wurde, dass wir alle paar Minuten anhielten, um die atemberaubende Landschaft zu genießen und fotografisch festzuhalten. Für das Mittagessen war ein simples Picknick geplant. Wir kauften uns verschiedenste Dinge im Supermarkt und aßen diese aus Mangel eines Tisches teils im Gepäckraum des Busses, teils auf der Straße. Das mag nicht sehr schön und luxuriös klingen, doch es gefiel allen total gut. Zum Schluss besuchten wir noch die letzten Wasserfälle dieses Trips: die Athabasca Falls. Nicht nur, dass die Natur auch hier wieder unglaublich schön war. Wir sahen auch einen Bieber, der gerade dabei war, seinen Damm zu bauen. Unser letztes Abendessen war sehr schön und lecker, hatte aber auch etwas Melancholisches an sich, da dies unser letzter gemeinsamer Abend als Gruppe war. In den letzten paar Tagen hatten wir uns nicht nur besser kennengelernt, sondern auch neue Freundschaften geschlossen, die sich so manch einer zuvor vielleicht nicht hätte vorstellen können.
Am Samstag ging es dann zurück nach Stony Plain, wo wir von unseren Gastfamilien abgeholt wurden. Nachdem wir uns voneinander verabschiedet hatten, trennten sich unsere Wege und wir fuhren alle mit unseren Gastfamilien zurück „nach Hause“. Ich hatte eine herausragende Zeit in den Rocky Mountains. Die Natur war wunderschön und wir haben viele Tiere gesehen: Ziegen, Schafe, Elche, Bieber, Erdhörnchen, Kanadagänse und sogar mehrere Schwarzbären. Abgesehen davon wuchsen wir als Gruppe zusammen und waren zum Schluss ein super Team.
Das Restwochenende, das wir individuell mit unseren Gastfamilien verbringen konnten, verging dann wieder viel zu schnell und ehe ich mich versah, war es schon Montag – der letzte komplette Tag in Kanada. Morgens besuchte die deutsche Gruppe ein Theaterstück, das von Schülerinnen und Schülern der Gastschule für uns aufgeführt wurde. Es war unglaublich gut gelungen und alle schienen extrem motiviert. Nach dem Mittagessen verbrachten wir noch ein paar Stunden in der Schule, bevor es nachmittags ans Kofferpacken ging.
Und dann war es schon Dienstag. Bis elf Uhr begleiteten wir unsere Austauschpartner mit in den Unterricht und trafen uns danach noch einmal im Deutsch-Klassenraum, um uns gebührend zu bedanken und zu verabschieden. Dafür hatten wir Deutschen während unseres Trips in die Rocky Mountains zwei Videos vorbereitet – einerseits hatten wir das Lied „Wonderwall“ umgedichtet und unseren Gesang vor einer schönen Bergkulisse aufgenommen und andererseits in einem kurzen Video die Unterschiede zwischen Kanada und Deutschland präsentiert. Die Austauschschüler schienen sich sehr darüber zu freuen. Die Abreise kam dann viel zu schnell. Nach den letzten Fotos mussten wir uns endgültig verabschieden. Schon kam der Schulbus, der uns zum Flughafen bringen sollte, und wir winkten unseren neuen Freunden zu, bis sie außer Sichtweite waren.
Nachdem wir den ersten Flug von Edmonton nach Amsterdam problemlos überstanden hatten, kam plötzlich die Nachricht, dass unser Anschlussflug gecancelt worden sei. Die Stimmung hätte besser sein können, aber alles in allem blieben wir relativ entspannt. Auch hier meisterten unsere Lehrkräfte alles wieder ganz souverän. Sie fanden einen Flug nach Bremen, von wo aus wir mit dem Zug nach Hamburg fahren konnten. Dreieinhalb Stunden später als eigentlich geplant kamen wir in Hamburg an, erschöpft und voller neuer Erfahrungen. Und plötzlich war alles vorbei. Doch die Erinnerungen werden uns noch lange im Gedächtnis bleiben und die Freundschaften, die wir geschlossen haben, sicher noch lange fortbestehen.
Ich glaube, ich spreche für alle, wenn ich sage, dass wir eine unglaublich tolle Zeit hatten. Es waren zwei der schönsten Wochen meines Lebens und ich bin so dankbar dafür, dass ich mit auf diese Reise gehen konnte. In dieser kurzen Zeit habe ich Dinge gesehen, die ich nicht für möglich gehalten hatte, und ich habe fast nur positive Erfahrungen gemacht – von der Gastfreundschaft der Kanadier über die neuen Freundschaften, die entstanden sind, bis hin zur überwältigenden Natur Kanadas. An dieser Stelle möchte ich mich auch noch einmal im Namen aller bei Frau Lehmann und Herrn Gotowos bedanken, die diese Reise überhaupt erst möglich gemacht haben. Die beiden waren die ganze Zeit sehr motiviert und haben uns immer den Eindruck vermittelt, dass wir ein tolles Team seien, auch wenn ich mir sicher bin, dass wir durchaus auch einmal anstrengend sein konnten. Ich hätte mir keine besseren Begleiter für diese Reise wünschen können. Danke!
(Text und Fotos: Carla Engels (S2))