
Abitur 2009
Ich bin aufgeregt. 10 Jahre! ZEHN lange Jahre! Ich stehe an der Eingangstür der Schule und dann trudeln sie so langsam ein, stehen plötzlich vor mir: Wiedererkennungseffekte, Flashbacks. Ich muss an ein Zitat aus einem Robin Hood Film denken: „Ich sehe das Kind in dem Mann vor mir!“ Ich freue mich, sie alle zu sehen!
2009 haben sie Abitur bei uns an der Schule gemacht. Sie waren „meine ersten“ Tutanden. Unsere Zeit hat alle Facetten des Lebens gezeigt: Liebe, Freundschaften, enttäuschte Liebe, Krankheiten, zerbrochene Freundschaften, bestandene Führerscheinprüfungen, Prüfungsängste, Polizeieinsätze… Und nun stehen sie zehn Jahre später wieder vor mir. Sie sind wie damals und doch ganz anders.
In unserer letzten Religionsstunde 2009 ließ ich die anwesenden Schüler und Schülerinnen einen Brief an sich selber schreiben: „Woran will ich mich in zehn Jahren erinnern, was will ich aus der Schulzeit nicht vergessen?“ Zehn Jahre lang haben diese Briefe in meinem Schrank im Lehrerzimmer gelegen. Ich hatte sie immer wieder in der Hand und mich zwischendurch verflucht, dass ich diese Idee gehabt hatte. Und nun? Nun sind die zehn Jahre vorbei und ich kann einige davon loswerden.
Auch wenn letztendlich nicht so viele gekommen sind, wie eigentlich zugesagt hatten – das Leben kam z.B. mit der Geburt eines Kindes oder der Grippe dazwischen – waren es mit 25 fast die Hälfte des gesamten Jahrgangs. Wir sitzen in einem Stuhlkreis in der Multifunktionshalle – die sie sehr beeindruckt, da das für sie in ihrer Erinnerung noch die Turnhalle ist.
Ich schaue sie an und höre zu: Was sie in den letzten zehn Jahren gemacht, erlebt, begeistert und ja auch enttäuscht hat. Viele waren im Ausland, manch einer ist das auch immer noch, aus London, Zürich und Lüdenscheidt ist man angereist. Zwei Babys sind dabei, andere haben schon ältere Kinder, einer erwartet im nächsten Monat sein erstes. Kunst, Jura, Medizin, Unternehmensberatung, SocialMedia, Krebsforschung und Nachhaltigkeit sind nur ein paar Stichworte, die zu den beruflichen Laufbahnen zu nennen sind. Später stößt auch noch ein Radiomoderator dazu.
Wir machen einen Rundgang durch die Schule und mit ihnen erlebe ich bewusst, was sich in den vergangenen zehn Jahren alles verändert hat: die Turnhalle, die Klassenzimmer und Fachräume, die digitalen Tafeln, das Oberstufengebäude („Wo sind die Container???“ – „Wir sollten sie doch Pavillons nennen!“ großes Gelächter) – aber am meisten Bewunderungen finden die neuen Toiletten!
Sie stellen sich aufgeregt vor die LehrerInnenübersicht im Foyer und fragen nach dem Kollegium. Viele sind nicht mehr da, einige aber doch noch. Es fallen Sätze wie „Seinetwegen habe ich Chemie studiert!“ oder „Oh, da kommen gerade keine gute Erinnerung hoch!“ Ja, so war die Schulzeit, mal schön und auch mal nicht so schön. Wie der Rest des Lebens eben auch.
Bevor es zum Ausklang an den Isekai geht, machen wir ein Foto: „Oh bitte, vor der Eingangstür, wie damals in der 5. Klasse!“
Meine Briefe konnte ich fast alle loswerden, einige beim Treffen, einen habe ich nach London und einen nach Bonn auf den Weg geschickt. Nur einer, der liegt hier noch. Niemand konnte mir etwas zu dieser Person sagen. Ich hebe ihn weiter auf, 2029 ist geplant – man weiß ja nie.